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Der Zyklus - Einmal Göttin und zurück

Ein Elendsviertel irgendwo an einer Seitenstraße von Kathmandu Stadt, erfüllt von, hektischem Treiben. Trotz des leichten Nieselregens, der früh am morgen begann, drängte sich eine immer größer werdende Menschenmenge um ein Lehmhaus. Die Menschen waren zusammengekommen, um der letzte Reise der 12-jährigen Kumari, Amita Shakya, der lebenden Göttin Kathmandus, deren Amtszeit zu ende gegangen ist, beizuwohnen. Mit dem Begin der Pubertät kann ihr Körper den Geist der Taleju nicht mehr beherbergen und sie wird zu ihrer Familie zurückgebracht, die sie im Alter von 3 Jahren verlassen hat.

Eine reich verzierte Sänfte, im Inneren die Kumari, in rotem und goldenem Gewand, wird von einer Schar an Priestern und Gläubigen begleitet. In den folgenden 4 Tagen wird eine Reihe von religiösen Feiern in ihrem Elternhaus stattfinden. Amita wird in einem abgedunkelten Raum abgeschottet, bis die Priester ihr die Kleidung und den Schmuck abnehmen. Diener des Taleju-Tempels entfernen ihren Haarknoten und nehmen das letzte Zeichen ihrer Göttlichkeit - den Armreif der Kumari - von ihrem Arm. Von nun an ist sie wieder eine Normalsterbliche mit einer Goldmünze und einer staatlichen Auszeichnung für ihre geleisteten Dienste als Schutzgöttin.

Nach Jahren des Göttinnendaseins, ist sie nun wieder im unbequemen Leben der normalen Gesellschaft angekommen und wird möglicherweise nie heiraten. Der Aberglaube, dass der Ehemann einer ehemaligen Kumari früh zu Tode kommen werde, ist tief in den Köpfen der Nepalesen verwurzelt, weshalb nur wenige Männer um die Hand einer Ex-Kumari anhalten werden. Auch Amita wird, wie all die anderen Kumaris vor ihr versuchen herauszufinden, warum und durch wen ihr das Schicksal dieses Weges vorherbestimmt ist.

Aber während Amitas Stern in Anonymität verblasst, erstrahlt ein neuer im Kumari Bahal am Durbar Square von Kathmandu. Preeti Shakya ist bereit ihre göttliche Aufgabe zu übernehmen. Sie wird getrennt von ihrer bisherigen Familie als lebende Göttin im Bahal leben und nicht mehr mit gewöhnlichen Menschen sprechen. Ihre Füße dürfen den Erdboden nicht mehr berühren und sie wird nur wenige male im Jahr den Kumari Bahal verlassen. Der oberste Repräsentant Nepals erbittet von ihr Schutz und Wohlwollen. Während Epidemien, Dürren, oder Hungersnöten wird er vor ihren Thron treten, niederknien und um Vergebung bitten. Am Indra-Jatra-Fest, wenn sie in ihrem Wagen durch die Straßen von Kathmandu gefahren wird, wird sie den obersten Repräsentanten in seinem Amt bestätigen, indem sie ihm die Tika auf die Stirn drückt.

Die übrige Zeit verbringt sie zurückgezogen in ihrem Palast. Touristen und Anhänger besuchen den Innenhof des Kumari Bahal und rufen sie. Dauern die Rufe lange genug an, zeigt sie sich kurz am Fenster und verschwindet dann wieder. Eine kleine Spende an die Betreuer der Kumari erleichtert es, sie zu sehen. Die Göttin darf nicht fotografiert werden.

Seit Jahrhunderten bis heute lebte der Geist von Taleju auf diese Art in einer Vielzahl von präpubertären Mädchen und hielt das Land und die Welt im Gleichgewicht. Ein Stirnrunzeln vertreibt den Regen; eine einzelne ihrer Tränen hat große Fluten zur Folge. Es wird berichtet, dass einst ein Repräsentant Nepals, der die Kumari zur Audienz aufsuchte, starb, als diese während der Audienz einschlief. Es versteht sich, dass die Mädchengöttin sehr sorgfältig ausgewählt werden muss, damit ein unreifer Ausdruck von Langeweile, Fröhlichkeit oder Entspannung nicht die Welt ins Unglück stürzt. Der Auswahlprozess ist durch den Glauben bestimmt, dass sich Taleju das Mädchen selbst aussucht. Die Aufgabe der Priester ist es lediglich die "Auserwählte" zu identifizieren. Das strenge Auswahlverfahren soll dabei sicherstellen, dass keine Fehler auftreten, siehe: Die 32 körperlichen Merkmale (Lachchins) einer Kumari.

Ist schließlich ein Mädchen gefunden, finden in den hinteren Räumen des Kumari Bahal eine Reihe von, bis heute geheim gehaltenen, tantrischen Ritualen statt, wodurch der Geist Talejus, der sich seit dem verlassen der bisherigen Kumari frei im Raum bewegt, wieder sicher in der neuen Kumari untergebracht ist. Das Auswahlverfahren ist damit abgeschlossen das ganze Land erfreut sich an der Nachricht der Ernennung der neuen Kumari.

Während der nächsten Wochen wird der neuen Mädchengöttin Zeit gegeben sich zu akklimatisieren und sich an die plötzliche Wende in ihrem Schicksal zu gewöhnen. Nach ihrem einfachen Leben mit Mahlzeiten aus Reis- und Linsensuppe und einer Strohmatte zum schlafen ist es schon eine große Umstellung auf das neue Leben mit reichlichem und wohlschmeckendem Essen und luxuriöser Unterkunft.

Eine kleine Gruppe ihrer Betreuer steht immer bereit, um das Kind bei Laune zu halten, damit es keine Tränen des Heimwehs zu weinen braucht. Sie stehen ihr jederzeit bei, wenn immer sie es wünscht. Sie wird jeden morgen aufwändig geschminkt. Dabei wird der rituelle Haarknoten gebunden, der Kajalstrich gezogen und das "dritte Auge" auf die rot bemalte Stirn gezeichnet. Bekleidet mit der Tracht der Kumari aus roter Brokatseide und dem Schmuck der Kumari an Ohren, Armen und Hals wird sie zum Thronsaal geleitet, um die Gläubigen zu empfangen. Viele ihrer Besucher kommen mit Gebrechen, Hoffnungen und Problemen um um Hilfe zu bitten.

Ernst und still sitzt die Kumari mit gekreuzten Beinen unter einem Baldachin auf Ihrem vergoldeten Löwenthron, während die Pilger geduldig auf ein Zeichen von ihr warten. Wenn sie laut lacht, oder schreit, droht eine schwere Krankheit oder sogar der Tod. Beginnt sie zu weinen, oder sich die Augen zu reiben, droht unmittelbar der Tod. Eine zitternde Kumari deutet auf eine Haftstrafe hin. Klatscht sie in die Hände, ist die Obrigkeit zu fürchten. Greift sie nach den dargebrachten Opfergaben, bedeutet das finanzielle Verluste. Zeigt die Göttin dagegen keines dieser Zeichen, sondern bleibt ruhig und regungslos, gehen die Pilger davon aus, dass die Bitte erhört wurde und kehren glücklich und zufrieden nach Hause zurück.

Den Rest des Tages ist geprägt von Gottesdiensten, welche in den Privatgemächern stattfinden. In ihrer begrenzten Freizeit spielt sie mit ausgewählten Spielkameraden im Bahal.

Obwohl die Kumari zurückgezogen und behütet in ihrem Palast lebt, ist ihr Status nicht garantiert. Sie darf nicht hinfallen, sich schneiden, oder sich irgendwie verletzen. Beim geringsten Verlust von Blut würde der Geist Talejus den Körper des Kindes verlassen. Die Betreuer sind angewiesen, auf jedes Anzeichen einer Krankheit zu achten. Eine medizinische Untersuchung durch Ärzte wird so lange wie möglich verzögert, da dies eine Absetzung der Kumari zwingend zur Folge hätte.

Aber der Tag X wird kommen wo ein Blutverlust nicht mehr aufzuhalten ist. Spätestens aber wenn die amtierende Mädchengöttin sich dem 12. Lebensjahr nähert, werden die Verantwortlichen das Netzwerk der "Mädchenjäger" wieder reaktivieren. Mit dem ersten Anzeichen der einsetzenden Monatsblutung ist das Schicksal der Kumari besiegelt. Die Tage ihrer Göttlichkeit sind gezählt. Taleju hat ihren Körper verlassen und das einzige was nun zu erledigen bleibt, ist, das Mädchen wieder dorthin zurückzubringen, woher es gekommen war.

Ein neuer Zyklus beginnt